Zwischen den Fronten – Arbeit als freier Fotojournalist - Thomas Vonier

Zwischen den Fronten – Arbeit als freier Fotojournalist

Es ist halb elf Uhr abends, und ich liege nach drei anstrengenden Tagen endlich im Bett. Es ist gerade Sicherheitskonferenz in München und ich war auf vielen Veranstaltungen. Ich habe mir fest vorgenommen, den nächsten Tag auf der Couch zu verbringen. Da klingelt das Telefon.

„Hey“, sagt mein Kollege, „es gibt morgen eine rechte Demonstration, aber sie dürfen nicht am ursprünglichen Ort protestieren. Eine Gegendemo ist auch schon angekündigt.“  Ich überleg kurz. Ein ungutes Gefühl meldet sich – das könnte brenzlig werden. Es ist gerade Sicherheitskonferenz in München. Die Polizei ist in Alarmbereitschaft und jetzt auch noch das. Rechte die Provozieren wollen und Linke Gegendemonstranten die für die Polizei immer ein rotes Tuch sind, da sitzt der Schlagstock meistens lockererer und das Pfefferspray ist auch schnell bei der Hand.

Ich bin müde, aber tief in mir weiß ich, dass ich hingehen werde. Mir ist das Thema persönlich wichtig und nichts ist schlimmer, als nachher von den Kollegen zu hören, welche Bilder man verpasst hat.

Kurzerhand stehe ich auf und packe meinen Fotorucksack neu, damit ich am nächsten Tag schnell los komme. Akkus aufladen, Speicherkarten formatieren, Objektive checken. Ich denke an das Wetter – es ist Winter, es wird kalt sein, vielleicht sogar schneien. Gute Schuhe und warme Klamotten sind wichtig.
Ich pack auch noch Schutzbrille, Helm und Erste-Hilfe-Set ein. Man weiß ja nie: Fliegende Gegenstände, Pfefferspray – alles schon erlebt.

Den nächsten Morgen beginne ich mit Social-Media-Recherche. Sowohl die rechte Partei als auch die linken Gruppen haben ihre Kanäle. Ich finde Aufrufe, Kommentare, Termine. Das meiste klingt noch relativ friedlich, doch die Stimmung kann schnell kippen. Ich notiere mir Namen und Gesichter bekannter Politiker, um sie später zu erkennen. Während der Bahnfahrt in die Innenstadt verfasse ich schon ein paar allgemeine Vorlagen für Bildunterschriften. Die werde ich später brauchen wenn ich die Fotos beschrifte.

Ankunft am Demo-Ort

Gegen Mittag komme ich an. Die Gegendemo ist größer als erwartet, die rechte Versammlung wirkt dagegen mickrig. Dennoch haben sich bereits viele Polizisten postiert, Absperrgitter sind aufgestellt. Ich bleibe erst einmal am Rand, um mir ein Bild zu machen: Wie groß ist das Polizeiaufgebot? Welche Zugänge zum Platz sind offen? Wie nah komme ich an die rechte Kundgebung heran?

Sobald ich mich orientiert habe, beginne ich mit Übersichtsaufnahmen. Ich arbeite nach einem festen Muster: Erst das Umfeld (markante Gebäude, Platzsituation), dann die Menge (Teilnehmerzahl, Stimmung) und schließlich Details (Transparente, Schilder). Es ist wichtig, den Kontext festzuhalten, damit Betrachter später verstehen, wo genau und in welchem Rahmen die Fotos entstanden sind.

Ich spreche zwischendurch mit einigen Gegendemonstranten. Einige kenne ich mittlerweile vom Sehen, manche auch mit Namen.  Es ist wichtig, dass sie wissen, wer ich bin und dass ich fotografiere, und es wir mir später noch helfen, dass ich mich kurz Hallo gesagt habe. Gerade wenn ich Portraits machen will, frage ich immer erst. Das ist eine Sache des Respekts – außerdem geht ohne ein Einverständis eh nichts.

Auf der Veranstaltung bin ich nicht der einzige Journalist. Ich sehe ein paar bekannte Gesichter. Ein kurzes Winken, ein Schulterklopfen. „Ist schon was passiert?“ – „Noch nichts, ist alles ruhig.“ – „Hast du was vom anderen Ort gehört?“ – „Nee, nur dass sie jetzt hier sind.“ Eigentlich sind wir Konkurrenten, denn ein Motiv verkauft sich nur einmal. Aber in solchen Situationen tauschen wir trotzdem Informationen aus. Manchmal tippt jemand auf eine gute Perspektive oder teilt einen Hinweis, dass in der Nähe gerade etwas Spannendes passiert. Das fördert den Zusammenhalt, weil man weiß, dass jeder hier seinen Job macht und wir uns gegenseitig brauchen, um im Ernstfall sicher zu bleiben.

Ich wechsele zur abgesperrten rechten Versammlung. Die Polizei hat Absperrgitter aufgestellt, ich zeige meinen Presseausweis und darf passieren. „Offensichtlich sehe ich nicht aus wie ein typischer Teilnehmer“, ich nehm das mal als Kompliment. Innerhalb des Gitters sind nur wenige Menschen. Ich erkenne einige Gesichter von meiner Vorabrecherche: Ein Bundestagsabgeordneter, mehrere Landtagsabgeordnete und die üblichen Verdächtigen, die man auf solchen Veranstaltungen immer wieder trifft.

Kaum bin ich auf der Veranstaltungfläche werde ich auch schon abfotografiert. Das soll uns vermutlich einschüchtern, ich lass mich davon schon lange nicht mehr beeindrucken.

Ich verhalte mich so neutral wie möglich. Das ist heute schwierig, weil meine Sympathien klar bei denen liegen, die sich gegen rechte Ideologien stellen. Ich will nicht Teil der Veranstaltung werden, sondern dokumentieren, was passiert. Trotzdem, innerlich kocht in mir ein Unverständnis hoch, wenn ich höre, was für Parolen teilweise gerufen werden.

Plötzlich werden Transparente verteilt, das ist ein neues Motiv. Ich beginne wieder zu Arbeiten: Übersichten, Nahaufnahmen von den Schildern, Portraits der Redner. Ein paar Kollegen sind ebenfalls hier und wir tauschen uns leise darüber aus, wie die Lage bisher wirkt. Alle sind sich einig: Noch ist es erstaunlich friedlich.

Während der Rede nähert sich die Gegendemonstration dem Gitter. Einige rufen laut, es kommt zu Pfiffen und Sprechchören. Die Polizei positioniert sich neu, immer noch locker, aber spürbar alarmierter. Ich entscheide, dass ich jetzt mehr von außen dokumentieren will. Also verlasse ich den abgesperrten Bereich wieder.

Kaum bin ich draußen, knallt mir ein Regenschirm vor die Linse. Ein Demonstrant, der mich offenbar für einen der rechten Streamer hält, versperrt mir den Weg. Ich reagiere erst verärgert: Pressefreiheit ist wichtig! Zum Glück klären Umstehende die Situation auf, und wir können uns kurz austauschen. Entschuldigung, alles gut. Ich merke, wie emotional die Leute sind.

Die Lage scheint sich nicht wirklich zu ändern. Es ist kalt, die Reden ziehen sich, und ich überlege schon, ob ich langsam nach Hause fahren soll. Da taucht ein Kollege auf. „Hast du gehört? Der Bundestagsabgeordnete soll mit ein paar Leuten zum ursprünglichen Ort wollen. Die meisten Rechten bleiben hier, damit die Polizei abgelenkt ist.“

Also doch keine Heimfahrt. Wir rätseln, was die beste Strategie ist: Hier bleiben, um zu sehen, wann sie gehen? Oder lieber direkt zum Gedenkort? Wir entscheiden uns, vorzufahren. Manchmal muss man spekulieren. 95% der Zeit ist Warten und Beobachten, aber in den restlichen 5% muss man schnell reagieren, um das entscheidende Bild zu erwischen.

Wir fahren ein paar Straßen weiter zum Gedenkort. Dort liegen Blumen, Kerzen, Leute trauern still. Ich könnte Fotos machen, aber mir kommt es unangebracht vor. Diese Menschen möchten einen Moment der Stille haben, nicht in Objektive starren. Andere Kollegen fotografieren, das ist auch legitim – jeder entscheidet das für sich. Ich bleibe erstmal im Hintergrund.

Allmählich kommen mehr Leute aus dem linken Lager. Sie haben offenbar von den Gerüchten gehört und wollen verhindern, dass die Rechten hier provozieren. Die Polizei ist mit einem Streifenwagen präsent, zwei Kontaktbeamte stehen bereit. Noch ist alles ruhig. Ich warte.

Dann sehe ich sie: Eine Gruppe um den Bundestagsabgeordneten taucht in der Ferne auf. Die Trauernden haken sich unter und bilden eine Menschenkette rund um den Gedenkort.

Der Abgeordnete läuft auf die Menschenkette zu, lässt sich theatralisch zurückfallen und beschwert sich lautstark. *Klick. Dann versucht er es erneut und stößt abermals auf Widerstand. *Klick. Es entstehen Wortgefechte, die Polizei wirkt zwischenzeitlich überfordert.

Innerlich fällt es mir schwer, neutral zu bleiben. Ich verstehe und unterstütze die Position der Menschenkette, halte mich aber als Journalist zurück. Ein offener Schulterschluss würde mir die Objektivität rauben, die meine Arbeit erfordert.

Nach einer Weile wird die Lage statisch. Die Rechten versuchen ein paar Mal vergeblich, durchzukommen, und geben dann schließlich auf. Sie legen ihre Blumen in einem benachbarten Gebüsch ab und ziehen sich zurück. Erschöpfte, aber erleichterte Gesichter auf Seiten der Gegendemonstranten.

Endlich nach Hause – Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst

Nach dem Ende der Aktion mache ich noch ein paar letzte Bilder: ein paar Portraits und Übersichten von den Menschen, die geblieben sind. Dann verabschiede ich mich von meinen Kollegen. Im Gehen notiere ich mir schnell Namen, Situationen und Schlagworte – alles, was wichtig ist, wenn ich mich gleich an den Rechner setze.

Zuhause importiere ich rund 1500 Bilder. Das Sortieren ist mühsam, aber notwendig. Zuerst fliegen alle verwackelten und doppelten Fotos raus. Dann vergebe ich grob Metadaten: Datum, Veranstaltungsort, Schlagworte wie „rechte Demo“, „Gegendemonstration“, „Polizei“, „Menschenkette“. Nur so können Redakteure später finden, was sie brauchen.

Ich mag diesen Teil der Arbeit nicht besonders, aber er ist entscheidend. Ohne die richtige Verschlagwortung und eine kurze Bildbeschreibung geht in den Redaktionen nichts. Ein perfekt komponiertes Foto kann wertlos sein, wenn niemand es in der Datenbank entdeckt. Also mache ich es gründlich: Belichtung anpassen, Weißabgleich korrigieren, kleine Retuschen. Dann versehe ich jedes Bild mit einer präzisen Beschreibung.

Erst nach dem Upload auf den Server kann ich abschalten. Es ist spät geworden, wieder einmal. Meine Füße schmerzen, mein Kopf rauscht, aber ich bin zufrieden. Ich habe alles Wichtige dokumentiert. Morgen ist ein neuer Tag, und vielleicht klingelt schon wieder das Telefon.

Fazit – 95% Warten, 5%  2% Adrenalin

Meistens steht man herum, beobachtet, wartet. Aber in den seltenen Momenten, in denen wirklich etwas entscheidendes passiert, muss man blitzschnell reagieren. Da bleibt dann keine Zeit sich über Kamera-Einstellungen Gedanken zu machen. In diesen Momenten arbeite ich intuitiv. Da gilt es Bilder zu finden welche die Situation so eindringlich wie möglich darstellen.

Am Ende bleibt das Gefühl, etwas Wichtiges festgehalten zu haben. Gerade bei emotionalen und politischen Themen ist es meine Aufgabe, neutral zu berichten. Ich bin sicher nicht immer perfekt darin, aber ich gebe mir Mühe, beide Seiten zu zeigen – so weit ich das halt vor mir selber vertreten kann.