Oder: Warum dein Blitz nicht „den ganzen Raum“ ausleuchtet
Jetzt wird’s ein bisschen physikalisch – aber keine Sorge, du brauchst keine Formelsammlung. Was du brauchst, ist ein Gefühl dafür, wie sich Licht verhält, besonders wenn du es selbst in der Hand hast.
Denn: Wenn du mit Blitz arbeitest, bist du plötzlich der Lichtmacher. Und im Gegensatz zur Sonne, die Millionen Kilometer entfernt ist und uns trotzdem gleichmäßig ausleuchtet, stehst du mit deinem Blitz oft nur ein paar Meter oder sogar Zentimeter vom Motiv entfernt.
Und da kommt es drauf an.
Licht fällt mit der Entfernung ab – und zwar drastisch
Ein verbreiteter Irrtum:
„Mein Blitz ist stark genug, ich mach damit einfach alles hell.“
Funktioniert nicht. Denn Licht hat die (zugegeben etwas fiese) Eigenschaft, nicht linear, sondern quadratisch abzunehmen.
Das nennt sich das Reziproke Quadratgesetz – klingt sperrig, bedeutet aber im Alltag:
Wenn du den Abstand zum Motiv verdoppelst, bekommst du nur noch ein Viertel der Lichtmenge.
Beispiel:
- 1 Meter Abstand → 100 % Licht
- 2 Meter → 25 %
- 3 Meter → ca. 11 %
- 4 Meter → nur noch 6,25 %
Das ist der Grund, warum der Blitz auf einem Konzertfoto nur die ersten zwei Reihen ausleuchtet – und dahinter alles in Dunkelheit verschwindet.
Blitz–Objekt–Kamera: Drei Distanzen, ein Bild
Es gibt zwei wichtige Distanzen, die du im Kopf haben musst:
- Abstand vom Blitz zum Objekt
Das beeinflusst, wie hell das Licht auf dem Objekt ist – und auch, wie weich oder hart es wirkt. - Abstand der Kamera zum Objekt
Das verändert den Bildausschnitt und die Perspektive, aber nicht die Lichtintensität – solange der Blitz nicht an der Kamera montiert ist.
Wichtiger Unterschied: Wenn du dich mit der Kamera näher ans Motiv bewegst, bleibt das Licht gleich – es sei denn, der Blitz ist mit dir „mitgezogen“ (z. B. bei On-Camera-Blitz).
Wann ist der Blitz „zu weit weg“?
- Wenn dein Blitz so weit weg steht, dass kaum noch Licht am Motiv ankommt, musst du die Leistung stark erhöhen – was wiederum zu härterem Licht führt.
- Oder du merkst: Der Hintergrund ist plötzlich heller als dein Hauptmotiv – weil der Blitz das Motiv kaum noch erreicht, aber die Umgebung streift.
Faustregel:
Je näher der Blitz am Motiv, desto effizienter, weicher und kontrollierbarer ist das Licht.
Lichtwirkung kreativ nutzen
Wenn du das Verhalten von Licht kennst, kannst du es bewusst einsetzen:
1. Weiches Licht durch Nähe
- Blitz mit Softbox direkt am Motiv → schön weiches, schmeichelndes Licht
- Der Hintergrund bleibt dunkler, da das Licht schnell abfällt
2. Dramatische Looks durch Abstand
- Blitz weiter weg auf volle Leistung → hartes, gerichtetes Licht, scharfe Schatten
- Mehr vom Raum wird ausgeleuchtet – manchmal gewollt, manchmal störend
3. Motiv isolieren
- Blitz nah ans Motiv, Belichtung auf das Blitzlicht eingestellt → der Rest der Szene wird unterbelichtet
- Ideal für People- oder Streetfotografie mit Punch – siehe Bruce Gilden
Shootingideen zur Lichtabfall-Erfahrung
Test 1: Portrait mit naher Lichtquelle
- Blitz 50 cm entfernt, weicher Lichtformer → Motiv leuchtet, Hintergrund verschwindet in Dunkelheit
Test 2: Gleiches Setup, Blitz 2 m entfernt
- Gleiche Kameraeinstellungen, aber der Blitz ist schwächer spürbar
- Lösung: Blitzleistung hochdrehen – aber das Licht wird härter, der Hintergrund heller
Fazit: Nähe ist Macht
Blitzfotografie ist nicht nur eine Frage von Technik, sondern von Position. Wenn du verstanden hast, wie sehr sich Licht mit der Entfernung verändert, kannst du dein Licht präzise und kreativ steuern.
Also: Geh ruhig mal ein paar Schritte näher ran. Dein Blitz – und dein Motiv – werden es dir danken.