Schlachtung eines Rindes - Thomas Vonier
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Schlachtung

Ich habe noch nie gesehen, wie ein Tier stirbt. Als mir die Möglichkeit geboten wird, bei einer Schlachtung dabei zu sein, sage ich zu und fühle mich zu Beginn sehr unsicher.

Es ist fast genau ein Jahr her, seit ich Bina, die Wagyu-Züchterin, auf ihrem Hof in der Nähe von Schwäbisch Gmünd zum ersten Mal besucht habe.

Damals hat Bina uns alles auf dem Hof gezeigt. Zum Schluss sind wir zum Metzger gefahren, bei dem sie ihre Tiere schlachten lässt. Das hat mich damals sehr beeindruckt, und ich habe dem Schlachter gesagt, dass ich gerne mal zusehen würde, wenn ein Wagyu-Rind geschlachtet wird. Ohne auch nur eine Millisekunde zu zögern, antwortete er: „Dann schaust du halt vorbei – beim nächsten Mal.“

Das war der Moment, in dem ich letztes Jahr im April doch etwas kalte Füße bekam. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich so einfach Zutritt bekommen würde. Aber andererseits hatte ich schon länger vor, mir das anzusehen. Wir verabschiedeten uns, und Bina versprach, mich zu informieren, sobald ein neuer Termin anstünde.

Der Sommer kam und ging, und Anfang September läutete mein Telefon. Der nächste Schlachttermin stand fest. „Das Rainerle“ war soweit. „Der kommt jetzt an den Haken.“ Der Bulle, der geschlachtet werden soll, heißt Rainerle (man muss sich das mit einem starken schwäbischen Akzent vorstellen). Rainerle hat mehr als 5 Jahre auf dem Hof gelebt. Er war der erste Bulle, der hier auf die Welt gekommen ist, und hatte ein deutlich längeres Leben als seine Artgenossen in herkömmlichen Zuchtbetrieben.

Die Schlachtung war für den frühen Morgen angesetzt. Ich komme am Abend davor auf dem Hof an. Bina ist gerade dabei, den Anhänger eines befreundeten Landwirts vor die Stallungen zu rangieren. In diesen Hänger soll der Bulle am nächsten Morgen verladen und zum Metzger gefahren werden.

Ich schaue in den Stall und habe ein echt schlechtes Gewissen. Ich weiß etwas, was das Tier da drin nicht ahnt. Friedlich stehen drei Rinder in dem kleinen Unterstand, eines davon wird morgen nicht mehr den Sonnenaufgang sehen. Ich stelle fest, dass ich mir sehr dramatische Textzeilen ausdenke, aber ich kann es nicht ändern. Ich denke in reißerischen Schlagzeilen. Ich komme mir vor wie ein Verräter.

Bina und der Landwirt sehen das ganz offensichtlich etwas anders. Sie loben die gute Konstitution des Bullen. Es wird überlegt, wie viel Fleisch er geben wird. Im Nachbarstall steht eine Kuh mit ihrem neugeborenen Kalb, Rainerle ist der Vater.

Während des Abendessens lasse ich mir erklären, was da am nächsten Morgen passieren wird. Ich bin noch nie bei einer Schlachtung dabei gewesen, und etwas, das sich anfühlt wie Lampenfieber, macht sich in mir breit.

Ich habe keine Ahnung, ob ich das aushalten kann. Ich weiß nicht, ob ich danach noch Fleisch essen will, aber ich möchte mich dem jetzt unbedingt aussetzen, denn ich finde, dass es scheinheilig ist, Fleisch zu konsumieren, aber mit dem Herstellungsprozess nichts zu tun haben zu wollen.

Rainer, der Bauer, erklärt mir, wie es ablaufen wird. Wenn wir mit dem Hänger beim Schlachter ankommen, kommt der Bulle in einen kleinen Stall und von dort aus direkt ins Schlachthaus. Im Schlachthaus wird das Rind in einer Schleuse stehen, damit es nicht auskommt. Dann wird es mit einem Bolzenschuss betäubt. Dabei spürt das Rind einen kräftigen Schlag, ein dumpfes Geräusch, und wird dann bewusstlos. Danach wird das Tier geschlachtet. Erst mit dem Ausbluten und dem damit einhergehenden Blutentzug im Gehirn stirbt das Tier.

Das klingt alles sehr routiniert und einfach. Bina erzählt mir, dass für sie eine Schlachtung alles andere als Routine ist. Sie ist beim letzten Mal vorangegangen, und das Tier ist ihr anstandslos ins Schlachthaus gefolgt. Danach sei sie aber schnell raus. Sie wollte nicht erleben, wie der Bolzenschuss gesetzt wird. „Ich bin vor der Tür gestanden und hab geheult.“

Um 4:30 läutet mein Wecker. Es ist noch stockdunkel draußen. Ich habe auf dem Hof übernachtet, Bina zu Hause bei ihrer Familie. Als ich zum Stall komme, ist sie schon da und bereitet das Verladen des Bullen vor. Rainerle ist misstrauisch, er will nicht aus dem Stall raus. Bina braucht fast eine Stunde, um ihn in den Hänger zu locken.

Danach geht alles sehr schnell. Der Hänger wird geschlossen, und wir machen uns auf zur Metzgerei, wo wir schon erwartet werden.

Den Zeitplan haben wir gründlich durcheinandergebracht. Eigentlich sollten wir um 6:00 da sein, jetzt ist es kurz vor 7 Uhr. Trotzdem herrscht eine ruhige, fast schon entspannte Atmosphäre. Ralf, der Metzger, und sein Kollege übernehmen.

Es ist genau so, wie mir der Bauer das am Abend davor erklärt hat. Über eine kurze Rampe gelangt das Tier in den Stall und von dort aus in das dunkle Schlachthaus. Es ist ruhig und sauber – nichts, was das Tier beunruhigen könnte. Das Gatter der Schleuse wird von außen geschlossen, da hört man innen auch schon ein metallisches Klicken, direkt gefolgt von einem lauten Poltern. Etwas sehr schweres ist zu Boden gekracht. Das Klicken war der Bolzenschuss, und der Krach stammt von dem Rind, das augenblicklich besinnungslos zwischen den Gittern zusammenbricht.

Der Metzger prüft die Reflexe. Es muss absolut sichergestellt sein, dass das Tier besinnungslos ist. Nur dann ist eine schmerzfreie Tötung gewährleistet. Der Schuss hat gesessen. Jetzt erfolgt die Schlachtung durch Ausbluten. Dazu wird der Körper des Tieres an einem Hinterlauf aufgehängt und die Halsschlagader geöffnet. Das Blut schießt aus dem Schlachtkörper, das Tier ist tot.

Zuerst wird der Kopf vom Rumpf getrennt. Einer der Metzger entfernt die Haut sowie die Gehörgänge und Augenlieder. Der Schädel wird später vom Amtstierarzt beim Fleischbeschau begutachtet.

Die beiden Metzger arbeiten ruhig und routiniert, jeder Schnitt sitzt. Der nun kopflose Körper wird wieder herabgelassen, er ist ausgeblutet und wird auf einem Rollwagen gewuchtet, um ihn weiter bearbeiten zu können.

Das Fell wird an der Brust und Bauchseite abgezogen. Dann wird der Schlachtkörper an den Hinterläufen wieder nach oben gezogen, um besser arbeiten zu können. Während der eine Metzger noch damit beschäftigt ist, das Fell am Schwanz abzuziehen, öffnet der andere die Bauchhöhle. Die Gedärme quellen entgegen. Die Mägen werden entsorgt – oder für Hundefutter verwertet, alle anderen Innereien werden aufgehoben und verwertet.

Ich bin sehr erstaunt, wie ’sauber‘ die Innereien aus der Bauchhöhle sind. Es ist weder schleimig noch riecht es unangenehm. Alle Organe sind klar zu erkennen. Das, was ein Lebewesen am Leben hält, sieht jetzt gar nicht so kompliziert aus.

Der letzte Arbeitsschritt ist das Zerteilen des Körpers. Dies geschieht mit einem Beil und ist im wahrsten Sinne eine Knochenarbeit, und es sieht sehr martialisch aus.

Nach knapp 50 Minuten ist alles vorbei. Zwei saubere Rinderhälften baumeln von der Decke, der Traum eines jeden Steakladenbesitzers.

Die Rinderhälften werden in den hinteren Bereich des Schlachtraumes gezogen. So wie sie jetzt da von der Decke baumeln, ist das ein recht appetitlicher Anblick. Es ist kaum zu glauben, dass das vor knapp einer Stunde ein Wagyu-Rind war, das hier hereingelaufen ist.

Im vorderen Bereich ist ein großer Sichtschutz aufgestellt worden. Bevor ich fragen kann, geht das Licht aus. Ich höre ein Schnaufen, dann fällt ein Gatter ins Schloss. Ein metallisches Klicken, dann ein lautes Poltern, das nächste Rind wird geschlachtet.

Bina und ich machen uns auf den Weg zurück zum Hof. Die Rinderhälften bleiben beim Metzger, sie müssen erst durch den Amtstierarzt freigegeben werden, bevor sie weiterverarbeitet werden dürfen. Was wir mitnehmen, ist eine schwarze Wanne mit dem eingesalzenen Fell. Die Rinderhaut wird zum Gerben gebracht.

Draußen ist es mittlerweile Tag geworden. Die Sonne scheint, und so früh am Morgen ist es hier noch sehr ruhig.

Schweigend fahren wir zurück. Ich habe sehr viele Fotos gemacht – sehr viele Bilder gesehen, aber ich kann noch gar nicht einordnen, was ich da gerade erlebt habe.

Ich war gerade dabei, wie ein Leben genommen wurde. Ich habe gesehen, wie aus einem Lebewesen ein Lebensmittel wurde. Im Moment kann ich überhaupt nicht sagen, was das mit mir gemacht hat. Es ging alles so schnell, es war alles so routiniert. Jeden Tag werden überall auf der Welt Rinder geschlachtet. Viel zu viele Rinder, weil wir alle verrückt nach Fleisch sind. Wir haben den Bezug zu diesem Lebensmittel verloren und vergessen oder verdrängen, dass für jedes Steak ein Tier gestorben ist. Ich möchte es nicht so schnell vergessen. Ich möchte nicht verdrängen, wie Fleisch ‚produziert‘ wird.

Dieser Artikel ist im Mai 2020 als erstes bei www.omoxx.com veröffentlicht worden