Vom
Lebewesen
zum
Lebensmittel
Schlachtung eines Rindes
Foto & Text: Thomas Vonier
Ich habe noch nie gesehen, wie ein Tier stirbt. Als mir angeboten wird, bei einer Schlachtung dabei zu sein, sage ich zu, hab aber von Anfang an ein mulmiges Gefühl.
Hinweis: In diesem Beitrag wird beschrieben und gezeigt wie ein Rind geschlachtet wird. Das kann verstörend wirken.
Es ist fast ein Jahr her, dass ich Bina auf ihrem Hof in der Nähe von Schwäbisch Gmünd zum ersten Mal besucht habe. Bina, wie sie von allen genannt wird, heißt eigentlich Sigrid und ist gelernte Humanmedizinerin. Sie hat ihre Karriere in der Medizin aufgegeben, um sich auf ihre Familie und später auf ihren Traum von der Rinderzucht zu konzentrieren. Das war nicht immer einfach, aber heute lebt sie diesen Traum auf dem idyllischen Öchsenhof in der Ostalb, wo sie eine der renommiertesten Wagyu-Zuchten Deutschlands aufgebaut hat. 2012 legte sie den Grundstein für ihre heutige Zucht, die mittlerweile über 50 reinrassige Wagyus umfasst.
Wenn Sie von ihren Tieren schwärmt, dann spricht sie oft von Ihren „Adoptivkinder auf vier Hufen“. Sie hegt und pflegt jedes einzelne Tier mit Hingabe und sorgt dafür, dass es ein langes und artgerechtes Leben führen kann. Die Qualität steht für sie an erster Stelle, und die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit ist ihr ein großes Anliegen. Ihr Ziel ist es, Fleisch von höchster Qualität zu produzieren, das mit Respekt vor den Tieren entsteht.
Öchsenhof in der Ostalb bei meinem ersten Besuch
Bina hegt und pflegt ihre Tiere und spricht von ihren „Adoptivkinder auf vier Hufen“.
2012 legte sie den Grundstein für ihre heutige Zucht, die mittlerweile über 50 reinrassige Wagyus umfasst
Besuch in der Metzgerei
An dem Tag haben wir auch die kleine Metzgerei besucht, bei der Bina ihr erstes Wagyu-Rind hat schlachten lassen. Der Metzger, Herr Schneider, hat uns mit offenen Armen empfangen und mir alles gezeigt: das kleine, aber hochmoderne Schlachthaus, die Verarbeitungsräume und die Werkstatt, in der das Fleisch weiterverarbeitet wird. Was sofort auffiel, war die Sorgfalt und der Respekt, mit dem hier gearbeitet wird. Die Räume waren nicht nur unglaublich sauber, sondern die Atmosphäre war fast schon familiär. Herr Schneider hat sich sehr viel Zeit genommen, um mir jeden Schritt der Verarbeitung zu erklären und auch die Philosophie hinter seiner Arbeit näherzubringen.
Diese Metzgerei ist ein Paradebeispiel für das Handwerk einer kleinen Landmetzgerei. Hier geht es nicht um Massenproduktion, sondern um Qualität, Nachhaltigkeit und einen respektvollen Umgang mit den Tieren. Die Tiere werden direkt von lokalen Bauernhöfen wie dem Öchsenhof geliefert, wodurch lange Transportwege vermieden werden. Das ist nicht nur besser für das Tierwohl, sondern auch für die Fleischqualität. Jedes Tier wird individuell verarbeitet, und der Metzger kennt oft sogar die Geschichten hinter jedem einzelnen Rind. Diese persönliche Verbindung macht den Unterschied zu den anonymen Schlachtbetrieben der Massentierhaltung.
Mich hat beeindruckt, mit welcher Ruhe und Professionalität Herr Schneider arbeitet. Er hat mir erklärt, wie wichtig es ist, dass die Schlachtung stressfrei abläuft. Stress bei den Tieren wirkt sich nicht nur negativ auf das Fleisch aus, sondern widerspricht auch der Ethik, die er als Metzger vertritt. Hier wird Fleisch noch als etwas Besonderes behandelt, und das spürt man.
Als ich ihm sagte, dass ich gerne einmal zusehen würde, wenn ein Wagyu-Rind geschlachtet wird, stimmte er sofort zu. Es gibt nichts zu verbergen, betonte er, denn hier wird mit Respekt gearbeitet. Schlachten findet oft hinter verschlossenen Türen statt, irgendwo im Verborgenen – doch in dieser Metzgerei steht Transparenz an erster Stelle.
„Dann schaust’ halt vorbei – beim nächsten Mal.”
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich so einfach Zutritt bekommen würde. Andererseits spielte ich schon länger mit dem Vorhaben, mir sowas einmal anzusehen.
Wir verabschiedeten uns, und Bina versprach, mich zu informieren, sobald ein neuer Termin anstand.
Der Termin steht fest
Der Sommer kam und ging. Anfang September läutete mein Telefon. Bina war dran. Der nächste Schlachttermin stand fest.
„Das ‘Rainerle’ ist dran, der kommt jetzt an den Haken.“
Der Bulle, der geschlachtet werden sollte, hieß Rainerle (man muss sich das mit einem starken schwäbischen Akzent vorstellen). Rainerle hat mehr als fünf Jahre auf dem Hof gelebt. Er war der erste Bulle, der dort auf die Welt gekommen ist, und hatte ein deutlich längeres Leben als seine Artgenossen in herkömmlichen Zuchtbetrieben.
Die Schlachtung war für den frühen Morgen gesetzt. Ich kam am Abend davor auf dem Hof an. Bina war gerade dabei, den Anhänger vor die Stallungen zu rangieren. In diesen Hänger sollte der Bulle am nächsten Morgen zum Metzger gebracht werden.
Ich schau in den Stall und hab ein schlechtes Gewissen. Ich weiß etwas, das das Tier nicht ahnt.
Friedlich stehen drei Rinder im kleinen Unterstand. Eines davon wird den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben.
War es richtig was ich hier machte?
Ich stellte fest, dass ich mir sehr dramatische Textzeilen ausdachte. Ich konnte es nicht ändern. Ich dachte plötzlich nur noch in reißerischen Schlagzeilen und ich fühlte mich wie ein Verräter. War es richtig was ich hier tat? Ich wußte es wirklich nicht mehr.
Bina und der befreundete Landwirt, der ihr bei den Vorbereitungen half, sahen das ganze offensichtlich etwas anders. Sie lobten die gute Konstitution des Bullen und überlegten, wie viel Fleisch er wohl geben würde.
Im Nachbarstall stand eine Kuh mit ihrem neugeborenen Kalb, Rainerle war der Vater.
Während des Abendessens habe ich mir erklären lassen, was da am nächsten Morgen passieren würde. Ich bin noch nie bei einer Schlachtung dabei gewesen, und etwas, das sich angefühlte wie Lampenfieber, machte sich in mir breit.
Keine Ahnung, ob ich das aushalten würde auch nicht, ob ich danach noch Fleisch essen könnte. Aber mein Entschluss stand fest, ich wollte mich dem unbedingt aussetzen. Ich finde es scheinheilig, Fleisch zu konsumieren, aber mit dem Herstellungsprozess nichts zu tun haben zu wollen.
Was bei einer Schlachtung passiert
Rainer, der Bauer, erklärte mir, wie es ablaufen wird. Wenn wir mit dem Hänger beim Schlachter ankommen, wird der Bulle in einen kleinen Stall geführt. Von dort aus geht es direkt ins Schlachthaus, das nur ein paar Meter weiter liegt. Im Schlachthaus wird das Rind in einer Schleuse stehen, damit es nicht auskommt. Dann wird das Tier mit einem Bolzenschuss betäubt. Dabei spürt das Rind einen kräftigen Schlag und wird sofort bewusstlos. Er dann wird das Tier geschlachtet in dem es Ausblutet. Erst mit Blutentzug im Gehirn stirbt das Tier.
Das klang alles sehr routiniert. Bina erzählte mir, dass für sie eine Schlachtung alles andere als Routine war.
Sie ist beim letzten Termin vorangegangen, und das Tier ist ihr anstandslos ins Schlachthaus gefolgt. Danach ist sie aber schnell raus. Sie wollte nicht erleben, wie der Bolzenschuss gesetzt wird.
„Ich bin vor der Tür gestanden und hab geheult.“
Um 4:30 Uhr klingelt mein Wecker.
Es ist noch stockdunkel draußen.
Als ich zum Stall komme, ist Bina schon da und bereitet das Verladen des Bullen vor. Sie streut Heu auf den Weg vom Stall zum Hänger und redet beruhigend auf das Tier ein.
Rainerle ist misstrauisch und will nicht aus dem Stall heraus. Bina braucht fast eine Stunde, um ihn in den Hänger zu locken.
Danach geht alles sehr schnell. Der Hänger wird geschlossen, und wir machen uns auf den Weg zur Metzgerei, wo wir bereits erwartet werden.
Wir haben den Zeitplan gründlich durcheinandergebracht. Eigentlich sollten wir um 6:00 Uhr da sein, jetzt ist es kurz vor 7:00 Uhr. Trotzdem herrscht eine ruhige, fast schon entspannte Atmosphäre.
Es läuft genau so ab, wie Rainer es erklärt hat. Über eine kurze Rampe geht es in den Stall und von dort in die Schleuse. Es ist sauber und ruhig – nichts, was das Tier aufregen könnte.
Das Gatter der Schleuse wird von außen geschlossen, und ich höre innen schon ein metallisches Klicken, direkt gefolgt von einem lauten Poltern.
Das Klicken ist der Bolzenschuss, und das Poltern stammt von dem Rind, das augenblicklich bewusstlos zusammenbricht.
Der Metzger prüft die Reflexe. Es muss absolut sichergestellt sein, dass das Tier bewusstlos ist. Nur dann ist eine schmerzfreie Tötung gewährleistet. Der Schuss hat gesessen.
Jetzt erfolgt die Schlachtung durch Ausbluten. Der Körper des Tieres wird an einem Hinterlauf aufgehängt, und die Halsschlagader wird geöffnet. Das Blut schießt aus dem Schlachtkörper, das Tier stirbt.
Die Metzger arbeiten ruhig und routiniert, jeder Schnitt sitzt. Der kopflose Körper wird wieder herabgelassen. Er ist ausgeblutet und wird auf einen Rollwagen gewuchtet, um ihn weiter zu bearbeiten.
Das Fell wird zunächst an Brust und Bauch abgezogen. Dann ziehen die Metzger den Körper an den Hinterläufen erneut nach oben, um besser arbeiten zu können. Während einer noch das Fell am Schwanz abzieht, öffnet der andere die Bauchhöhle. Die Gedärme quellen entgegen. Die Mägen werden entsorgt oder für Hundefutter verwertet. Alle anderen Innereien werden aufgehoben und verarbeitet.
Ich bin erstaunt, wie sauber die Innereien aus der Bauchhöhle sind. Es ist weder schleimig, noch riecht es unangenehm. Alle Organe sind klar zu erkennen. Das, was ein Lebewesen am Leben hält, wirkt plötzlich gar nicht so kompliziert.
Der letzte Arbeitsschritt ist das Zerteilen des Körpers. Mit einem Beil teilen die Metzger den Rumpf, und diese Knochenarbeit sieht martialisch aus.
Nach knapp 50 Minuten ist alles vorbei. Zwei saubere Rinderhälften baumeln von der Decke – der Traum eines jeden Steakladenbesitzers.
Die Rinderhälften werden in den hinteren Bereich des Schlachtraums gezogen. So wie sie jetzt da hängen, wirken sie fast appetitlich. Es ist kaum zu glauben, dass das vor einer knappen Stunde noch ein Wagyu-Rind war, das hier hereingelaufen ist.
Im vorderen Bereich stellen die Metzger einen großen Sichtschutz auf. Bevor ich fragen kann, geht das Licht aus. Ich höre ein Schnaufen, dann fällt ein Gatter ins Schloss. Wieder höre ich ein metallisches Klicken, gefolgt von einem lauten Poltern. Das nächste Rind wird geschlachtet.
Bina und ich machen uns auf den Weg zurück zum Hof.
Die Rinderhälften bleiben beim Metzger. Sie müssen erst vom Amtstierarzt freigegeben werden, bevor sie weiterverarbeitet werden dürfen. Was wir mitnehmen, ist eine schwarze Wanne mit dem eingesalzenen Fell. Die Rinderhaut wird zum Gerben gebracht.
Draußen ist mittlerweile Tag geworden. Die Sonne scheint, und so früh am Morgen ist es hier noch sehr ruhig.
Schweigend fahren wir zurück. Ich habe viele Fotos gemacht – viele Bilder gesehen. Doch ich kann noch gar nicht einordnen, was ich gerade erlebt habe.
Ich war dabei, wie ein Leben genommen wurde. Ich habe gesehen, wie aus einem Lebewesen ein Lebensmittel wird.
Im Moment weiß ich nicht, was das mit mir macht. Es ging alles so schnell, und alles war so routiniert. Jeden Tag werden überall auf der Welt Rinder geschlachtet. Viel zu viele Rinder, weil wir alle verrückt nach Fleisch sind. Wir haben den Bezug zu diesem Lebensmittel verloren. Wir verdrängen, dass für jedes Steak ein Tier sterben musste.
Ich möchte das nicht vergessen. Ich möchte nicht verdrängen, wie Fleisch produziert wird.
Diesen Artikel hab ich ursprünglich für omoxx.com geschrieben. Ich war insgesamt bei zwei Schlachtterminen dabei, ‘Rainerle’ war der erste Bulle der Geschlachtet wurde, die Fotos sind gemischt. Was hat sich für mich geändert? Ich esse immer noch Fleisch, aber sehr viel weniger als zuvor.
Bina sagte einmal zu mir: “Sie geben mir ihr Fleisch, und ich gebe ihnen das best mögliche Leben auf meinem Hof” Ich denke das ist ein guter Deal. Die Tiere haben hier ein tolles Leben und Bina liebt jedes einzelne ihrer Tiere.
Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, vor allem aber bei der Landmetzgerei die absolut keine Berührungsängste hatte und ihre Türen weit für mich geöffnet hatten.
– Tausend Dank! –
Mehr Bilder aus der Fotostrecke gibt es hier