Licht gestalten: Der kreative Einsatz von Blitz - Online Fotokurs

[03] Licht gestalten: Der kreative Einsatz von Blitz

Licht gestalten: Der kreative Einsatz von Blitz

Bevor wir über künstliches Licht reden, machen wir erstmal einen Schritt zurück. Die Sonne ist unsere erste Lichtquelle. Sie ist da, ohne dass wir sie einschalten müssen – und wir alle kennen sie seit unserer Geburt. Sie prägt, wie wir Licht wahrnehmen.

Natürliches Licht – unser Maßstab

Wir sind Lichtstimmungen aus dem Alltag gewohnt. Manche wirken vertraut, manche dramatisch, andere irgendwie „falsch“. Ein paar Beispiele:

  • Bewölkter Himmel: Alles wirkt weich, fast wie durch einen Filter. Kontraste sind niedrig, Farben entsättigt. Ideal für Porträts!
  • Mittagssonne: Hartes, direktes Licht. Schatten werden tief, Kontraste maximal. Nicht besonders schmeichelhaft – aber sehr charakteristisch.
  • Sonnenaufgang / Sonnenuntergang: Warmes, sanftes Licht. Goldene Stunde. Alles wirkt romantisch oder cineastisch.
  • Schnee + Sonne: Gleißendes, fast blendendes Licht. Die Umgebung wird zur riesigen Reflektorfläche.

Diese Stimmungen kennen wir. Sie sind unser Referenzrahmen. Wenn ein Foto „gut beleuchtet“ aussieht, dann oft, weil es an eine natürliche Lichtsituation erinnert – oder bewusst komplett dagegen geht.

Licht ist nicht gleich Licht

Wenn du z. B. im Schatten stehst, aber um dich herum reflektiert eine helle Hauswand das Sonnenlicht, bekommst du plötzlich eine völlig andere Lichtstimmung: warm, diffus, seitlich. Das fühlt sich interessant an – manchmal auch irritierend.

Und genau da wird’s spannend für die kreative Fotografie.

Denn jetzt stell dir vor:

Du kannst mit Blitzlicht genau solche Situationen nachbauen oder sogar frei erfinden. Du bist nicht mehr abhängig von der Sonne, dem Wetter oder der Uhrzeit.

Mit Blitz gestalten – nicht nur aufhellen

1. Schatten aufhellen – oder bewusst setzen

Die einfachste Anwendung: Jemand steht mit dem Gesicht im Schatten, du setzt mit dem Blitz etwas Licht drauf – zack, Gesicht sichtbar, Schatten reduziert.

Aber es geht auch anders: Du kannst gezielt Schatten erzeugen, um Dramatik oder Tiefe ins Bild zu bringen. Es geht nicht nur darum, mehr Licht zu haben – sondern darum, das richtige Licht an der richtigen Stelle zu setzen.

2. Akzente setzen

Du kannst mit Blitz einen bestimmten Teil des Bildes hervorheben – wie mit einem Spot auf einer Theaterbühne. Zum Beispiel:

  • Das Gesicht eines Porträtierten in der Menge
  • Eine Hand, die eine Geste macht
  • Ein Objekt in einer düsteren Umgebung

So steuerst du nicht nur die Helligkeit, sondern auch die Aufmerksamkeit der Betrachter.

3. Surreale Lichtstimmungen erschaffen

Wenn du mit Blitzlicht arbeitest, kannst du Licht erzeugen, das es so in der Realität nicht gibt – und trotzdem funktioniert es.

  • Eine Person nachts hell erleuchtet vor dunklem Hintergrund
  • Harte Schatten im Nebel
  • Künstlich „gefrierende“ Bewegung bei Tageslicht

Diese surreale Ästhetik kennen wir z. B. von Martin Parr, der mit Blitz selbst bei Sonnenschein arbeitet – um eine flache, manchmal grelle, aber unglaublich prägnante Bildsprache zu erzeugen. Oder Bruce Gilden, der seinen Blitz direkt auf Passanten richtet – und damit eine rohe, fast brutale Ehrlichkeit schafft.

4. Dokumentarisch oder inszeniert – Blitz kann beides

  • Dokumentarisch eingesetzt, bringt der Blitz oft eine direkte, klare Wirkung. Nichts wird versteckt. Alles steht im Licht.
  • Inszeniert wird’s dann, wenn du mit mehreren Blitzen arbeitest, gezielt Schatten führst oder ganze Sets baust.

Der Blitz ist also kein Studiowerkzeug – er ist ein mobiler Lichtmacher. Du kannst ihn überall einsetzen: auf der Straße, im Wald, auf einem Festival, im Wohnzimmer. Sobald du ihn beherrschst, verändert sich dein Blick aufs Licht. Du fragst dich nicht mehr: „Wie ist das Licht?“ – sondern: „Wie will ich es haben?“

Fazit: Der Blitz als Lichtpinsel

Wenn du anfängst, Blitzlicht nicht als Notlösung zu sehen, sondern als aktives Gestaltungsmittel, öffnet sich eine neue Welt. Du kannst natürliche Lichtstimmungen imitieren – oder komplett eigene kreieren. Du kannst fotografisch erzählen, wie sich eine Szene anfühlen soll, nicht nur, wie sie aussieht.

Hier gleich mal ein paar Ideen für Deine ersten Blitzbilder:

1. Schatten aufhellen – natürliches Licht + Füllblitz

Szene: Eine Person steht mit dem Rücken zur Sonne (Gegenlicht). Das Gesicht ist ohne Blitz im Schatten.
Aufgabe: Nutze einen Aufsteckblitz oder kleinen Systemblitz, um das Gesicht dezent aufzuhellen – so, dass es natürlich wirkt.
Ziel: Natürliches Licht bleibt erhalten, das Gesicht wirkt lebendiger und besser modelliert.

2. Surreale Lichtstimmung bei Tageslicht

Szene: Eine Person steht an einem hellen, aber unspektakulären Ort (z. B. Park, Parkplatz, Betonwand).
Aufgabe: Blitze gezielt von der Seite oder mit harter direkter Frontbeleuchtung, während du die Umgebungsbelichtung stark unterbelichtest (z. B. 1/200 s, Blende 8, niedriger ISO).
Ziel: Der Hintergrund wird dunkel, fast „nachtartig“, während dein Motiv aus dem Bild herausleuchtet – surrealer Effekt bei Tag.

3. Akzentblitz im Dunkeln

Szene: Eine dunkle Umgebung (Garage, leerer Raum, nächtliche Straße).
Aufgabe: Setze den Blitz gezielt auf ein Objekt oder Körperteil – z. B. nur das Gesicht, nur die Hände, ein Detail.
Ziel: Fokussierung durch Licht. Nur das Wesentliche ist sichtbar – alles andere versinkt in Dunkelheit.

4. Reflektiertes Blitzlicht – Hauswand oder Schirm

Szene: Eine Person steht an einer weißen Wand oder in einem engen Innenhof.
Aufgabe: Richte den Blitz nicht direkt auf die Person, sondern z. B. gegen die Wand, Decke oder einen weißen Schirm.
Ziel: Du erzeugst eine weiche, natürliche Lichtstimmung wie an einem hellen Tag – ohne dass es nach „Blitz“ aussieht.

5. Hommage an Bruce Gilden – Blitz auf der Straße

Szene: Menschen in Bewegung – z. B. auf einem Markt, in einer Einkaufsstraße.
Aufgabe: Fotografiere nah (Weitwinkel!) und blitze frontal aus der Hand oder mit aufgesetztem Blitz.
Ziel: Direktheit, Kontrast, Street-Look. Achte auf Ausdrücke, Details, Dynamik. Nicht subtil – aber eindrucksvoll.

6. Inszeniertes Porträt mit zwei Blitzen

Szene: Drinnen oder draußen, bewusstes Setup
Aufgabe: Ein Blitz als Hauptlicht (leicht seitlich), ein zweiter als Kante / Gegenlicht oder Hintergrundlicht.
Ziel: Studiolook on location – gezielte Lichtführung, fast filmisch.